Eine stolze Mutter
Hätte mir jemand am 05.02.03 gesagt, wie gut es mir resp. uns heute geht, ich hätte ihm mit Sicherheit kein Wort geglaubt. Am 03.02.03. ist meine Tochter Nathalie zur Welt gekommen – mit Down Syndrom. Da ich vorher nichts davon gewusst habe, war ich natürlich mehr als geschockt. Ich höre mich noch heute sagen: „ich kann das nicht“, „ich kann das nicht“. Heute 8,5 Jahre später muss ich sehr wohl feststellen, wie gut ich das kann und wie stolz ich auf meine Tochter bin. Vielleicht erzähle ich einfach ein wenig von heute – von unserem Alltag.
Seitdem Nathalie in die Schule geht fällt ihr das Aufstehen natürlich schwer, wohingegen sie am Wochenende reichlich früh wach wird. Aber das nur am Rande. Auf jeden Fall sind hier die ersten Tricks des Tages gefragt. Mit viel gutem Zureden – wir unterstreichen dann meistens die Höhepunkte des Tages wie Turnen oder der Besuch einer Freundin - und mehr oder weniger Protest steht sie auf, geht auf die Toilette (manchmal auch mit Umwegen) und putzt sich die Zähne, allerdings unter der Aufsicht meines Mannes. Beim Anziehen setze ich mich besser zu ihr und hole mir Unterstützung bei den Puppen aus dem Puppenhaus. Die liebt sie und sie werden abgebusselt und wenn die Puppen sagen, dass sie sich jetzt bitte beeilen soll, wird es besser angenommen als von Mami. Die Kleidung haben wir am Vorabend zusammen rausgelegt, um die morgendlichen Diskussionen zu vermeiden. Nathalie frühstückt zwar erst nachdem der Papi auch am Frühstückstisch erschienen ist, aber es läuft meistens reibungslos. Danach diskutieren wir kurz die Schuh- und Jackenfrage - das Kind ist ziemlich eitel. An guten Tagen bekommt sie den Reißverschluss der Jacke auch alleine zu. Leider haben wir nicht immer die Zeit ihre Versuche abzuwarten, weil wir ja pünktlich zur Schule müssen. Sie bekommt wann immer das Wetter es zu lässt Helm und Roller in die Hand gedrückt. Ich fahre mit dem Fahrrad hinterher. Es ist wirklich fantastisch, wie gut sie selbst mit dem schweren Ranzen Roller fahren kann. Sie passt fast ganz gut auf Verkehr und Mitmenschen auf – manchmal jedoch setzt mein Herz einen Schlag aus, dafür wird die Stimme umso kräftiger. In der ortsansässigen Regelschule trifft sie ihre Schulbegleiterin, allerdings erst in der Klasse. Morgens vor der Schule schauen wir immer nach ihren Freundinnen aus, damit sie mit ihnen ins Klassenzimmer gehen kann. Meistens funktioniert das Ausziehen ziemlich gut, bloß manchmal schreibt die Schulbegleiterin ins Heft, dass sie ein wenig „bockig“ war. Jetzt in der dritten Klasse hat sie fast täglich sechs Stunden Schule, die ihr wenige Probleme bereiten. An guten Tagen (sie hat gut mitgearbeitet, war nicht bockig usw.) bekommt sie einen „Smiley“, im Durchschnitt 2-3 Mal die Woche. An schlechten Tagen gibt es auch traurige Smileys. Sie schreibt seit neuestem mit Füller, malt damit aber auch gerne ihr Hefte an. Ich bin für die Erfindung des „Tintentods“ sehr dankbar. So kann man doch manches Heft, wieder ein wenig ansehnlicher machen. Sie mag sich auch nicht immer für die Pause anziehen, oder ich stehe mir nach Schulende die Beine in den Bauch, weil sie so trödelt und nicht rauskommt. Wobei sie mittlerweile alle Kinder in der Schule kennen und mir viele den neuesten Lagebericht zukommen lassen.
Doch auch wenn ich warten muss, so stehe ich doch zumeist gerne vor der Schule. Sie hat so viel gelernt, seitdem sie hier ist und ist unheimlich ehrgeizig. Sie übt von selber zwischendurch Gedichte und englische Vokabeln und ist dabei stolz wie Oskar. Eine ihrer größten Freuden ist es momentan nachdem sie ein Buch ausgelesen hat im „Antolin“ die Fragen zum Inhalt zu beantworten und dafür Punkte zu kassieren. Nichts desto trotz hat das Ganze natürlich zwei Seiten, da sie die Hausaufgaben nicht alleine machen kann, ist es für mich ziemlich anstrengend. Besonders schwierig wird es, wenn ein Termin wie „Freundinnenbesuch“, „Chor“ oder „Kindersport“ lauert, da man dann ja zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein muss. Sie muss nicht alle Hausaufgaben komplett fertig machen, hat hier aber einen großen Ehrgeiz. Beim Rechnen machen wir zumeist nur einen Teil, weil Mathematik das Fach ist, bei dem sie sich am schwersten tut.
Da sie „eine kleine Hausfrau“ ist, hilft sie auch gerne im Haushalt und kontrolliert gewissenhaft die Abhol-Termine der verschiedenen Müllarten, die an der Pinnwand hängen – das ist eins ihrer neuesten Hobbies. Abends macht sie sich relativ problemlos alleine fertig (man muss nicht daneben stehen), wobei uns neulich der Zahnarzt geraten hat, nach ihrem Zähneputzen doch noch mal nachzupolieren. Vor dem Einschlafen liest sie mir vor und ich muss natürlich auch noch lesen, damit wir nach schnellstmöglicher Beendigung des Buches die Fragen im Internet beantworten können.
Hätte ich vor 8,5 Jahren gewusst, was dieses Kind alles lernen kann – auch wenn sie ein bisschen länger dafür braucht - wie ehrgeizig es ist und wie liebenswürdig dabei, ich hätte mir kaum Sorgen gemacht. Ich wünsche mir von Herzen, dass sie diesen Weg so weiter gehen kann.
Barbie Neufeld
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Klara: Der Sechser im Lotto
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Nikolas: Der Lebensfrohe
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Julian: Homöopathie
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FRANKFURTER ALLGEMEINE mit einer Frau, die ihr Kind abgetrieben hat, nachdem sie erfahren hat, dass es das Down-Syndrom haben wird.