Behindertentestament
Wie kann ich mein Kind absichern?
"Wer kümmert sich um mein Kind, wen ich mal nicht mehr bin?" - Diese Sorge treibt besonders Eltern behinderter Kinder um. Solange das Kind klein ist, kommt kaum jemand auf die Idee, deshalb ein Testament zu errichten. Dabei sollte man sich frühzeitig darum kümmern. Denn wenn es darum geht, den gewohnten Lebensstandard des Behinderten auch nach dem Tod der Eltern zu erhalten, sollten sie ihr Vermögen vor dem Zugriff des Staates schützen – durch ein Behindertentestament.
Die Ausgangslage
Ab dem 18. Geburtstag haben geistig behinderte Menschen einen eigenständigen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe wie z. B. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zur Pflege und vor allem Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Hat der Behinderte allerdings eigenes Einkommen oder Vermögen, muss er seinen Lebensunterhalt damit bestreiten. Erst wenn er finanziell hilfebedürftig ist, kommt der Sozialhilfeträger für ihn auf. Macht ein Behinderter eine Erbschaft und hat er Hilfeleistungen bekommen, darf sich der Sozialhilfeträger das Vermögen holen – für seine Kosten in der Zukunft, wie auch für seine Aufwendungen ab Eintritt des Erbfalls. Dem Behinderten bleibt nur das so genannte Schonvermögen bis zu € 2600. Dieser "Selbstbehalt" darf vom Staat nicht angetastet werden. Ein solcher Betrag ist schnell aufgebraucht – für besonderen medizinischen Bedarf, orthopädische Schuhe oder Kuren zum Beispiel aber auch für Sonderwünsche wie Fahrten zu Verwandten oder Freizeiten und Urlaubsreisen, all das was Eltern nebenbei bezahlen, um ihrem Kind – auch wenn es schon erwachsen ist – das Leben möglichst angenehm zu gestalten. Von den Leistungen des Sozialhilfeträgers sind solche Extrawünsche nie umfasst. Wenn aber die Eltern nicht mehr leben, wie kann der Lebensstandard des Behinderten erhalten werden?
Enterben? Auf keinen Fall!
Es nützt nichts, das behinderte Kind zu enterben. Denn wer enterbt ist, hat immer noch Anspruch auf seinen Pflichtteil, das ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Falsch wäre es auch, wenn sich Ehegatten gegenseitig zum Alleinerben einsetzen. Das entspricht einer Enterbung der Kinder, mit der Folge, dass sie Anspruch auf ihren Pflichtteil haben. Genau diesen Pflichtteil aber kann der Sozialhilfeträger auf sich überleiten (§ 93 SGB XII). Nach jüngster Rechtsprechung kann ein Behinderter auf seinen Pflichtteil verzichten (BGH v. 19.1.2011, IV ZR 7/10) Die Begründung: Genauso wie ein Erblasser frei bestimmen kann, ob und wem er sein Erbe überlässt, genauso kann ein Erbe entscheiden, ob er das Erbe antreten will. Auf diese Art dem Sozialhilfeträger eine Erbschaft vorzuenthalten ist, so der BGH, nicht sittenwidrig. Ein Pflichtteilsverzicht muss notariell beurkundet werden. Dafür muss der Behinderte geschäftsfähig sein. Hat er einen Betreuer, so muss das Betreuungsgericht den Pflichtteilsverzicht genehmigen.
Vorerbe, Nacherbe, Testamentsvollstreckung: so funktioniert das Behindertentestament
Erfahrene Anwälte raten aber dazu, lieber mithilfe des Behindertentestaments vorzugehen. Die Gestaltungsmöglichkeiten entsprechen mehr dem Bedürfnis vieler Eltern, auch für die Zeit nach ihrem Tod dafür Sorge zu tragen, dass ihr behindertes Kind weiterhin seinen Lebensstandard halten kann. Bei einer typischen Durchschnittsfamilie – Mutter, Vater, zwei Kinder, eine Immobilie, Erspartes – könnte ein Behindertentestament folgende Regelungen enthalten: Das Ehepaar setzt in seinem gemeinschaftlichen Testament den überlebenden Elternteil zum Vollerben ein. Das behinderte Kind bestimmen sie zum beschränkten Vorerben. Sein Erbteil muss dabei geringfügig über dem Pflichtteil liegen. Das zweite, nicht behinderte Kind erhält ein Vermächtnis. Die Eltern benennen einen Testamentsvollstrecker. Das ist sinnvollerweise jemand, der den Behinderten gut kennt, häufig der überlebende Elternteil oder später das Geschwisterkind; es kann aber auch jemand aus dem Kreis der Freunde und Verwandten sein. Er wird auf Lebenszeit des Behinderten dafür sorgen, dass die Anordnungen des Testaments im Sinne des Verstorbenen umgesetzt werden. Die Eltern sollten nämlich dem Testamentsvollstrecker ganz genau beschreiben, wofür er das Vermögen einsetzen soll. Von der besonderen Therapie bis zur Jahreskarte für das Fußballstadion – alles was die Eltern ihrem Kind zu Lebzeiten finanzieren würden, ist möglich und sinnvoll. Für den Zeitpunkt in dem auch der zweite Elternteil stirbt, wird das behinderte Kind wiederum zum beschränkten Vorerben eingesetzt, das Geschwisterkind dann aber zum Vollerben. Es wird gleichzeitig auch zum Nacherben des behinderten Kindes bestimmt. Meist sind die Ansprüche des behinderten Kindes weit geringer als die der nichtbehinderten Kinder. Die Kinder entsprechend ihrer Bedürfnisse im Testament unterschiedlich zu bedenken, ist durchaus angebracht.
Erbe frei verfügbar?
Sinn dieser Regelung ist, dass der Vorerbe, also der behinderte Mensch, selbst nicht frei über den Nachlass verfügen kann. Er darf ihn aber nutzen, z. B. die Zinsen oder Mieteinnahmen. Auch die Vorgaben, die die Eltern dem Testamentsvollstrecker machen, schützen das Erbe. Das stellt keine Bevormundung dar, sondern ist eine rechtliche Bremse. Durch sie wird verhindert, dass der Sozialhilfeträger von dem Behinderten verlangen kann, ihm sein Vermögen zur Begleichung der Sozialleistungen zu überlassen. Stirbt eines Tages der Behinderte, erhält sein Nacherbe das gesamte Vermögen der Eltern. Das ist in der Regel das Geschwisterkind. Der Nacherbe ist nicht der Erbe des Vorerben und steht deshalb auch nicht für die Schulden des Behinderten, z. B. gegenüber dem Sozialhilfeträger, ein.
Testament maßgeschneidert
Für ein Behindertentestament gibt es keine Standardformel. Jedes Testament muss individuell auf die Familienkonstellation und die Art des zu vererbenden Vermögens zugeschnitten sein. Für eine Patchwork-Familie sind andere Regelungen zu treffen als für eine Familie mit nur einem Kind. Besonderes Augenmerk gilt auch, wenn Immobilien, ein Betrieb oder Geschäftsanteile an die Nachkommen weitergegeben werden sollen. Oder wenn die Eltern Schulden haben.
Tipp: Das behinderte Kind sollte immer nur Geldbeträge oder Geldanlagen als Erbe bekommen. Mit einer "Teilungsanordnung" können die Eltern dementsprechend ihr Erbe unter den Kindern aufteilen. Ist ein behindertes Kind Miterbe einer Immobilie oder eines Unternehmens, wird die Verwaltung und Leitung schwierig, weil Betreuer und Betreuungsgericht zustimmen müssen.
Am besten lassen sich Eltern von einem Anwalt beraten, der sich auf die rechtlichen Probleme behinderter Menschen und ihrer Angehörigen spezialisiert hat. Er wird nach ihren Vorstellungen ein Testament entwerfen. Das müssen die Eltern nur noch von Hand abschreiben, mit dem Datum kennzeichnen und persönlich unterschreiben. Es empfiehlt sich, regelmäßig nachzuprüfen, ob das Testament immer noch zur Familien- und Vermögenssituation passt.
Den richtigen Berater finden
Behindertenorganisationen, wie z. B. die "Bundesvereinigung Lebenshilfe" führen eine Liste von Rechtsberatern in vielen deutschen Städten, www.lebenshilfe.de. Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Bundesgeschäftsstelle Leipziger Platz 15 10117 Berlin-Mitte Telefon: 0 30/20 64 11-0 Telefax: 0 30/20 64 11-2 04 E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Autorin: Christine Olderdissen
Zusatzinfo & Bücher
Infobroschüren:
- Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.: "Vererben zugunsten behinderter Menschen"
- Bundesvereinigung Lebenshilfe: "Das Testament: Vererben zugunsten behinderter Menschen"
- Lebenshilfe Berlin: "Testamente zugunsten von Menschen mit geistiger Behinderung"
Bücher:
- Recht und Förderung für mein behindertes Kind: Elternratgeber für alle Lebensphasen
von Jürgen Greß,
(Taschenbuch, 1. Auflage 2009), dtv, ISBN-13: 978-3423506809, 14,90 Euro
- Das Testament zugunsten behinderter und bedürftiger Personen
von Hans-Helmut Fensterer aus der Reihe "Schenken und Vererben",
Vsrw-Verlag, ISBN-13: 978-3936623345, 19,80 Euro
- Das Behindertentestament
von Andreas Schindler, Alexander Wirich, Gerhard Ruby
(Fachbuch, 1. Auflage, 2008), Zerb-Verlag, ISBN-13: 978-3935079778, 38,- Euro
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